Friedenssymbol und Liebessymbol - dennoch bekämpft : Stadttauben

 

Missverstandene Stadtbewohner


Sie begegnen uns in Parks, an Bahnhofsvorplätzen und hinter nahezu jeder Häuserecke: Tauben. Die gurrenden Vögel mit dem markanten Gang sind aus den Städten kaum noch wegzudenken, obwohl wir es ihnen erdenklich schwer machen, neben und mit uns zu leben. Bei kaum einem anderen Tier gehen die Meinungen weiter auseinander, als es bei Tauben der Fall ist. Wir neigen dazu, zwischen „Nützlingen“ und „Schädlingen“ zu unterscheiden. Dass diese Unterscheidung jedoch willkürlich und keinesfalls unveränderlich ist, zeigen Tauben sehr deutlich. Früher als „Fleischlieferanten“ und Briefboten geschätzt, werden Tauben bis heute als Sportobjekte benutzt. Sie symbolisieren weltweit Liebe und Frieden und werden doch als sogenannte Schädlinge verfolgt und bekämpft. Tauben leben eng mit uns zusammen, trotzdem sind wir ihnen meist keine freundlich gesinnten Nachbar*innen. Tauben sind kaum anspruchsvoll, sondern sehr anpassungsfähig und genügsam. Das Wenige, das sie zum Leben und Überleben brauchen, versuchen wir ihnen dennoch zu nehmen. Ihre Schlafplätze verwandeln wir quasi über Nacht in gespickte Nagelkissen, die zu schweren Verletzungen führen können. Wo das nicht genügt, spannen wir Netze und Drähte und verwandeln somit allerlei Ecken zu tödlichen Fallen für diese Vögel.


 


Ausbeutung mit Tradition


Die Familie der Tauben (Columbidae) umfasst weltweit etwa 42 Gattungen und mehr als 300 Arten. Seit Menschen begannen Häuser zu bauen und Getreide anzupflanzen, ließen sie sich in unserer Nähe nieder. Die heutigen Stadttauben (Columba livia domestica) stammen von den Felsentauben (Columba livia) ab. Diese lebten damals in Felsen an den Küsten des Atlantischen und Pazifischen Ozeans. Die Menschen lernten die Tauben schnell als "Fleisch- und Eierlieferanten" schätzen und auch ihre Exkremente wurden als guter Dünger gerne verwendet. Eingesperrt in großen Taubenschlägen wurde früh begonnen, Tauben als einfach zu haltende Tiere zu züchten und auszubeuten. Ihre „Standorttreue“, ihren herausragenden Orientierungssinn und den starken Drang der monogam lebenden Vögel, zu ihrem Partner zurückzukehren, machte man sich später ebenfalls zu Nutze („Brieftauben“). Bereits in der Antike wurde eine Taubenpost eingerichtet und in verschiedenen Städten wurden Taubenschläge errichtet, so dass ein beflogenes Postnetz entstand. Später wurden Brieftauben überwiegend zu militärischen Zwecken eingesetzt und wurden erst spät von Telegrafen und anderen Kommunikationsmitteln abgelöst. Heute werden Tauben meist zu Sportzwecken gezüchtet. Getrimmt zu höchsten Leistungen werden sie bei Flugwettbewerben bis zu 1.000 Kilometer von ihrem Zuhause entfernt ausgelassen beziehungsweise ausgesetzt und fliegen die gesamte Distanz zurück. Die Taube möchte dringend zu ihrem Partner zurückkehren, auch wenn ihr das Höchstleistungen abverlangt und sie das Leben kosten kann. Findet eine Taube nicht den Weg zurück oder ist die Distanz zu weit, verwildern die Tiere, sofern sie die Strapazen überleben. Bereits in Schriften des Altertums wird von verwilderten beziehungsweise halbwilden Stadttauben berichtet.



Kundschafter mit symbolträchtiger Rolle


Tauben begleiten uns seit jeher und so spielen sie auch im Alten Testament eine entscheidende Rolle. Als Kundschafter sollen sie ausgesendet worden sein, um Noah auf seiner Arche mitzuteilen, ob die Flut wieder zurückgegangen und das Land freigeben habe. Die freigelassene Taube kehrte demnach von einem Flug mit einem Ölzweig zurück, beim nächsten Flug sei sie nicht mehr wiedergekommen und habe Land gefunden. Seither steht die Taube symbolisch für die Versöhnung von Gott und den Menschen. Ob geliebt oder gehasst, eines haben bis heute alle Tauben gemeinsam. Sie symbolisieren weltweit Liebe und Frieden. Schon lange vor ihrer christlichen Rolle als Kundschafterin wurden Tauben wegen ihres ausgeprägten Balzverhaltens als Liebessymbol an der Seite von Göttinnen wie Aphrodite und Venus abgebildet. Als Motiv des Weltfriedenskongresses von 1949 erlangte die von Pablo Picasso gezeichnete, weiße Taube (La Colombe; französisch „Die Taube“) weltweite Bekanntheit und gilt seitdem als Symbol der Friedensbewegung. Auf Hochzeiten sollen weiße Tauben Frieden, Glück und Treue symbolisieren – eine aus Sicht der Tauben eher „unromantische“, jedoch umso belastendere Inszenierung.




Stadttauben – Füttern verboten!


Tauben sind neben Hunden, eines der ältesten, namentlich erwähnten „Haustiere“. Um eine möglichst große Ausbeute an Fleisch und Eiern zu erhalten, wurden die Tauben über Generationen intensiv gezüchtet und menschlichen Zwecken angepasst. Ihr ganzjähriges Brutverhalten und die überdurchschnittlich schnelle Vermehrung sind somit angezüchtete, also genetische Eigenschaften. Was früher gewünscht war, ist heute ein von Menschen gemachtes Problem.
Die verwilderten Stadttauben und ehemaligen Felsenbewohner sehen in den hohen Häusern unserer Städte ideale Brutplätze und vermehren sich sehr schnell. Leider finden sie dort kaum Nahrung und müssen so hungrig alles essen, was sie finden können. Aus den Vögeln werden unfreiwillig „Fußgänger“, die den ganzen Tag mühsam mit der Suche nach Nahrung beschäftigt sind. Viele von ihnen sind unterernährt und die wenig bekömmliche Ernährung, meist bestehend aus Abfällen und weggeworfenen Essensresten, führt oft zu dem sogenannten „Hungerkot“. Die Körneresser benötigen am Tag nur rund 30 bis 40 Gramm Getreide und Sämereien. Ihr Kot würde bei einer solchen gesunden Ernährung kleine, feste Häufchen bilden anstelle der bekannten großen, flüssigen Kleckse.
In vielen Städten und Kommunen bestehen strikte Fütterungsverbote für Tauben, um so einer Vermehrung der Vögel entgegenzuwirken. Im Gegensatz zu Wildtieren richtet sich ihre Reproduktionsrate jedoch nicht nach dem vorhandenen Nahrungsangebot, sondern ist ein für „Haustiere“ übliches, angezüchtetes Verhalten. Der Nahrungsentzug durch Verbote lässt Tauben also langsam verhungern, reduziert jedoch nicht ihre Anzahl.
Futterhersteller*innen, Volierenbauer*innen und Züchter*innen verdienen gut am Geschäft mit der Taube. Die Tötung, Vergrämung und Bekämpfung unliebsamer Tiere stellt jedoch einen noch wesentlich einträglicheren Markt dar, mit dem sich sehr viel Geld verdienen lässt. Es liegt also nicht im Interesse derer, die daran verdienen, Vorurteile abzubauen und aufzuklären. Denn die Aufrechterhaltung und Schürung von Ängsten gegenüber Tauben sichern dieser Industrie das Fortbestehen und bilden so eine kontinuierliche Gewinngrundlage. Die einst sehr geschätzten Vögel sind heute für viele nichts weiter als „Ungeziefer“ und werden meist nur noch zynisch als „Ratten der Lüfte“ bezeichnet. Ratten lösen bei vielen Menschen fälschlicher- und unverdienterweise Ekel und Angst aus. Diese negative Prägung gegenüber den sogenannten „Schadnagern“ wird sprachlich auch auf die Tauben projiziert und soll deren Verfolgung rechtfertigen. Der betriebene Aufwand ist enorm und das Arsenal, mit dem Tauben bekämpft und vertrieben werden, ist vielfältig. Netze werden gespannt und zum Teil werden ganze Gebäude mit ihnen abgehangen. Lange Stacheln, sogenannte Taubenabwehrspikes aus Kunststoff oder Metall, sollen den Anflug und die Landung auf Gebäudevorsprünge verhindern. Weitere Taubenabwehr-Systeme sind Elektro- und Spanndrahtmethoden. Nicht selten enden diese Methoden tödlich, beispielsweise wenn sich die Tauben in Netzen verfangen und in ihnen langsam sterben. Auch Spikes können zu einer gefährlichen Falle werden. Sehen die Tiere diese Vorrichtungen zu spät oder versuchen trotz ihnen zu landen, besteht die Gefahr, dass sie aufgespießt und schwer verletzt werden. Taubennester werden häufig achtlos entfernt, oft genug mitsamt der darin lebenden Küken. Andernorts passiert es ebenfalls immer wieder, dass brütende Tauben eingemauert oder durch neu gespannte Netze eingeschlossen werden und langsam verhungern. Das Leben in unseren Betonstädten ist für Tauben kein einfaches Unterfangen, sondern gleicht einem täglichen Kampf ums Überleben.
Die kategorisierte Einteilung von Tieren als „Schädlinge“ (Gesundheits-, Vorrats-, Material-, Pflanzen-, Holzschädlinge und Lästlinge) basiert auf den Schäden, die diese Tiere vermeintlich anrichten könnten. Angeblich verursachen Tauben Schäden an Gebäuden und übertragen Krankheiten. Sie würden demnach den Gesundheits- und Materialschädlingen zugeordnet werden. Wie auch der Kot von Menschen und anderen Tieren, kann Taubenkot ein hygienisches sowie ästhetisches Problem sein. Ein Prüfbericht der technischen Universität Dresden aus dem Jahr 2004 ergab jedoch das Gegenteil. Der Taubenkot wurde bezüglich seines Säuregehaltes sowie seiner Wirkung auf verschiedene Materialien untersucht. Der frische Kot ist demnach pH-neutral und hat zudem keine Einwirkung auf mineralische Baustoffe. Lediglich bei Metallen könne es zu Oxidationen beziehungsweise schnellerer Alterung oder Fleckenbildung kommen.



Tauben und das Infektionsschutzgesetz


Bezüglich der Gesundheitsgefährdung gibt das Infektionsschutzgesetz (IfSG) folgendes vor: Ist es möglich, dass Krankheitserreger von einem Tier auf den Menschen übertragen werden, wird dieses als Gesundheitsschädling definiert. Dennoch nehmen Tauben einen anderen rechtlichen Status ein, als es beispielsweise bei Ratten und Mäusen der Fall ist. Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV), welches heute Teil des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) ist, urteilte in seiner Stellungnahme vom 26. Februar 1998, dass verwilderte Haustauben nicht als Gesundheitsschädlinge gelten. Da allerdings auch Landesregierungen gemäß Infektionsschutzgesetz legitimiert sind, eigene Rechtsverordnungen zur „Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“ zu erlassen, definieren die Landesverfassungen Mecklenburg-Vorpommerns und Sachsen-Anhalts Tauben weiterhin als Gesundheitsschädlinge. Das Gesundheits- oder Infektionsrisiko durch Tauben ist nicht höher, als das aller anderen Tiere. Tauben stellen somit auch keine größere Gefährdung dar, als andere Vögel, die wir in unseren Gärten oder auf Balkonen zum Teil liebevoll füttern und gerne beobachten.




Geburtenkontrolle statt Bekämpfung


Aufgrund des angezüchteten, ausgeprägten Brutverhaltens können Stadttauben bis zu sechsmal im Jahr brüten und vermehren sich entsprechend schnell. Die sich daraus ergebenden Probleme können nicht durch Verfolgung und Bekämpfung gelöst werden. Um die Population von Stadttauben dennoch zu reduzieren, sind alternative und ethisch vertretbare Methoden notwendig. In betreuten Taubenschlägen bekommen die Vögel gesundes Essen und ihre Eier können durch Gipseier ersetzt werden. Der Taubenkot wird zudem gesammelt und entsorgt, er könnte außerdem als altbewährter Dünger verwendet werden.
Um langfristig und effektiv eine Reduzierung der Taubenpopulation zu erreichen, dürfen nicht immer wieder neue Tauben hinzukommen. Genau dies passiert aber, wenn Brieftauben zu Sportzwecken ausgesetzt werden. Den Vögeln werden Höchstleistungen abverlangt und oft schaffen sie, wie geschildert, den weiten Weg nicht. Auch die Wetterbedingungen und Raubvögel können die Tauben von ihrem Kurs abbringen. Die gestrandeten Brieftauben suchen dann Anschluss und Schutz bei Stadttauben. Sofern sie die vielen Strapazen überleben, mischen sie sich unter die vorhandenen Populationen und füllen diese kontinuierlich auf.

 
 
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